housing first österreich: Ein Zuhause als Grundrecht, nicht als Privileg
housing first österreich: Ein Zuhause als Grundrecht, nicht als Privileg
Das neue Projekt der BAWO, Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe, „housing first österreich – zuhause ankommen“ soll bis September 2024 in Österreich über 1.000 wohnungslose Menschen in eine eigene Wohnung begleiten. Gemeinnützige Bauvereinigungen stellen im kommenden Jahr 512 leistbare Wohnungen zur Verfügung. housing first österreich wird vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit € 6,6 Mio. finanziert. Das Projekt wird in sieben Bundesländern operativ umgesetzt. In der Steiermark von der Wohnplattform Steiermark gemeinsam mit Jugend am Werk Steiermark, Caritas Steiermark und VinziWerke Steiermark.
Wohnungslosigkeit kann jede*n treffen. Junge Menschen, die keinen Zugang zum Wohnungsmarkt finden, Frauen und Mütter, die versuchen, aus Abhängigkeits- und Gewaltbeziehungen auszubrechen, Menschen, die durch berufliche oder finanzielle Rückschläge ihr Zuhause verlieren, oder jene, die seit ihrer Kindheit von Armut betroffen sind und in verschiedenen Lebensbereichen vor verschlossenen Türen stehen. Häufig handelt es sich um eine komplexe Kombination verschiedener Faktoren. „Diese Menschen sind Teil unserer Gesellschaft und haben vielfältige Lebensgeschichten. Dennoch wird Wohnungslosigkeit oft als Randthema wahrgenommen, obwohl es ein weit verbreitetes Risiko ist,“ sagt Birgit Schörgi, Geschäftsführerin der Wohnplattform Steiermark. Die Wohnplattform Steiermark ist seit 1986 im Rahmen der Wohnungslosenhilfe tätig. Martin Urban, mit der Umsetzung des Projekts in der Steiermark beauftragt, unterstreicht anlässlich des Internationalen Tags der Menschenrechte am 10. Dezember: „Wohnraum darf kein Privileg sein. Das Recht auf Wohnen ist als Menschenrecht der sogenannten zweiten Generation in der Europäischen Sozialcharta von 1996 verankert und wurde mit der Unterfertigung der Erklärung von Lissabon, 2021, zur Bekämpfung der Obdach- und Wohnungslosigkeit konkretisiert.“
housing first österreich – zuhause ankommen setzt auf den international erfolgreichen Housing-First-Ansatz. Statt in Notquartieren oder Übergangswohneinrichtungen unterzukommen, wird wohnungslosen Menschen direkt eine eigene Wohnung vermittelt. Sie unterschreiben einen eigenen Mietvertrag und kommen selbst für die Miete auf. Sozialarbeiter*innen begleiten Betroffene nach Bedarf. Krisen, Fragen zu Finanzen oder zur Bewältigung des Alltags werden in der eigenen Wohnung gelöst. Damit werden mehr Menschen langfristig aus der Obdach- und Wohnungslosigkeit begleitet.
Laut Statistik Austria haben in Österreich bereits sechs Prozent der Bevölkerung eine Phase der Wohnungslosigkeit erlebt. In über 341.000 Haushalten betragen die Wohnkosten mehr als 40 Prozent des Haushaltseinkommens (Arbeiterkammer Wien, März 2023). Die Statistik zur Wohnungslosigkeit in Graz im Jahr 2017 ergab, dass allein im Oktober 2016 1.810 Personen und 230 Minderjährige wohnungslos waren. Im Jahr 2021 wurden österreichweit 19.450 registriert wohnungslose Personen gemeldet, davon 1.851 in der Steiermark (Statistik Austria-Wohnen 2022). Die Dunkelziffer dürfte erheblich höher sein, insbesondere durch versteckte Wohnungslosigkeit. Diese „unsichtbare“ Wohnungslosigkeit betrifft vor allem Frauen. Auch resultierend aus deren geschlechterspezifischen Rolle und den damit verbundenen Abhängigkeiten. „Das bedeutet, dass sie oft in prekären Wohnverhältnissen leben, beispielsweise vorübergehend bei Bekannten, ohne Mietvertrag und ohne eigenen Wohnungsschlüssel“, beschreibt Sandra Schimmler, Geschäftsführerin von Jugend am Werk Steiermark. „Um nicht nur die akute Wohnungslosigkeit zu lindern, sondern langfristige Lösungen für die individuellen Herausforderungen der Betroffenen zu finden, ist eine gezielte geschlechtsspezifische Betreuung von fachlich ausgebildeten Sozialarbeiter*innen vor Ort wesentlich“, so Schimmler. Bereits seit zehn Jahren setzt Jugend am Werk in Graz mit dem Projekt „Housing First – Frauen“ genau das um, stärkt und unterstützt die betroffenen Frauen und ebnet ihnen so den Weg zu langfristiger Stabilität und Selbstständigkeit.
Auf einen ebenso langen Erfahrungsschatz in der Umsetzung von Projekten nach dem Housing First-Ansatz blickt Amrita Böker, Koordinatorin der VinziWerke Österreich, zurück: „VinziDach Salzburg begleitet seit 2012 Personen in ihre eigenen vier Wände, in Graz wird dieser Ansatz im Zuge des Projekts Solido angewandt. Mehr als 60 Menschen wurden in den Jahren seit dem Projektstart 2017 begleitet. Durch ‚housing first österreich‘ und der Zusammenarbeit mit allen beteiligten Organisationen können wir dieses Angebot nun erweitern. Durch diese Kooperation kommen wir unserem Ziel, Wohnungslosigkeit in der Steiermark nachhaltig zu beenden, gemeinsam ein Stück näher.“
Als gemeinsames Ziel sehen die beteiligten Sozialdienstleister nicht nur kurzfristige Lösungen, sondern langfristige Stabilität und positive Veränderungen im Leben von Menschen. housing first österreich bietet nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern respektiert auch die Würde der Menschen und gibt ihnen die Möglichkeit, ihr Leben zu verbessern. „Aus Erfahrung heraus wissen wir: Es gibt nicht nur Obdachlosigkeit oder Sorglosigkeit. Dazwischen erleben wir viele Formen prekärer Wohnversorgung, es gibt sehr viele Wege hinein in diese fürchterliche Lage, kein Zuhause zu haben – und es ist sehr schwer, wieder im wahrsten Sinne des Wortes Boden unter die Füße zu bekommen, wenn man einmal aus dem System herausgefallen ist. Entsprechend versuchen wir, unsere Angebote und Modelle immer wieder neu zu denken. Wenn Menschen nur ein wenig Starthilfe, im allerersten Schritt aber eine dauerhafte und sichere Wohnversorgung benötigen, können wir ihnen nun auch Wohnungen im Sinne des Housing-First-Gedankens anbieten. Dies hilft uns, Menschen punktgenau und ihrem Bedarf angepasst zu unterstützen“, so Michael Lintner, Abteilungsleiter Wohnen der Caritas.
housing first österreich arbeitet eng mit dem Österreichischen Verband gemeinnütziger Bauvereinigungen (GBV) zusammen, um passenden, leistbaren Wohnraum zur Verfügung zu haben. Insgesamt geht es um 512 Wohnungen im kommenden Jahr, davon bis zu rund 100 in der Steiermark. „Wohnraum für jeden und jede zu schaffen, ist die Grund-Intention der gemeinnützigen Bauvereinigungen und das, wofür wir stehen. Daher ist es für uns selbstverständlich, das Projekt „housing first österreich“ in der Steiermark zu unterstützen“, erklärt Christian Krainer, Obmann der GBV Steiermark. 26 gemeinnützige Wohnbauträger gehören steiermarkweit zum GBV und sie verwalten Wohnungen, die rund 370.000 Menschen ein Zuhause bieten. „Jeder Mensch hat unterschiedliche Anforderungen, wenn es ums Wohnen geht, aber jeder Mensch braucht ein Zuhause. Unsere GBV-Steiermark-Mitglieder bauen, damit Wohnen für alle leistbar bleibt“, ergänzt Obmann-Stellvertreter Wolfram Sacherer.
housing first österreich – zuhause ankommen, das Projekt
housing first österreich – zuhause ankommen ist ein Projekt der BAWO, Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe. Es richtet sich an armuts- und/oder ausgrenzungsgefährdete Menschen (Definition gemäß der EU SILC- Kriterien), die wohnungs- oder obdachlos sind, oder von Wohnungslosigkeit unmittelbar bedroht sind.
housing first österreich wird vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz mit € 6,6 Mio. finanziert.
Das Projekt läuft ab sofort bis 30. September 2024.
housing first österreich hat zum Ziel, österreichweit 1.080 Menschen in eine leistbare Wohnung zu vermitteln und zu begleiten, 512 Wohnungen aus dem gemeinnützigen Wohnbau werden dafür bezogen. 25 Sozialorganisationen aus ganz Österreich sind am Projekt beteiligt.
housing first österreich wird im Burgenland, in Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, der Steiermark und in Wien operativ umgesetzt. Tirol und Vorarlberg sind als strategische Partner beteiligt. Mit der Umsetzung in der Steiermark wurde die Wohnplattform Steiermark beauftragt, sie erfolgt gemeinsam mit Jugend am Werk Steiermark, Caritas Steiermark und VinziWerke Steiermark.
Es steht ein Budget von rund € 1 Mio. zur Verfügung. Darin enthalten sind Kosten für Finanzierungsbeiträge, Kautionen und Übersiedelungskosten wie auch die Begleitung von Mieter*innen und die Organisation des Projekts. Es können bis zu 100 Wohnungen steiermarkweit vermittelt und – je nach Haushaltsgrößen – rund 200 Personen begleitet werden.
Geplant ist in der Steiermark die zeitnahe Bereitstellung einer Info-Hotline, mit der die Ansprechpartner*innen direkt und zentral kontaktiert werden können.
Foto: Lintner, Urban, Schimmler, Böcker, Kalsberger, Puchner (v.l.), Credit: Willi Moertl
Weitere Infos zum Projekt und den Organisationen: